Ein Beitrag von Carole Maleh und Stefan Müller, erstellt in der Überzeugung, dass wir unsere Gesellschaft verändern müssen und dies auch können, hin zum Wohle aller. Und in der Überzeugung, dass Graswurzelbewegungen gerade jetzt zwingend notwendig dafür sind.

Ein Aufruf, nein, eine Bitte zum Mitgestalten!

Menschen, die es entweder von etwas weg oder zu etwas hindrängt, sind das Saatgut von Graswurzelbewegungen. Menschen, die ihre Situation nicht mehr akzeptieren wollen oder ein für sich klares Bild einer besseren Zukunft haben. Menschen, die den Mut haben, sich für Veränderungen stark zu machen und bereit sind, dafür auch gegen den Strom zu schwimmen, sich dem Status quo zu widersetzen. Sie reißen sich und andere mit. Aus einem oder mehrerer dieser Samenkörner, vernetzt im Wurzelwerk, wachsen Grashalme schließlich zu einer starken Graswurzelbewegung heran.

Das Phänomen einer Graswurzelbewegung lässt sich anhand des „First Dancers“ gut verdeutlichen, wie es in [1] herangezogen wird. Dieser fängt mutig allein an zu tanzen. Eine Graswurzelbewegung beginnt zu entstehen, sobald der erste Follower mittanzt. Spätestens ab dem dritten Tänzer ist kaum noch auszumachen, wie alles begann. Video: https://www.youtube.com/watch?v=fW8amMCVAJQ

„Wir sprechen also über Gruppen von Menschen, die Lösungen für diejenigen Herausforderungen suchen, die sie als relevant ansehen, die von den bestehenden Institutionen aber ignoriert werden.“ [1]

Graswurzelbewegungen sind somit der Inbegriff eigenverantwortlichen Denkens und Handelns mit der Absicht einer Veränderung – ob in einer Organisation oder Gesellschaft.

Drei wesentliche Kernelemente zeigen sich dabei

  • Eine Haltung von „zivilem Ungehorsam“: Wo das vorherrschende System keine zielführenden Lösungswege zulässt, setzen sich die Akteure über Konventionen und Regeln hinweg. Nicht destruktiv oder beliebig, sondern gerichtet auf das gemeinsame Ziel in bester Absicht.
  • Die Durchführung wirksamer Einzelaktionen: Einzelaktionen mit kleineren oder größeren Gruppen werden in Eigenregie durchgeführt. Eine übergeordnete Instanz, die der Kontrolle oder Steuerung dient, braucht es nicht. Angetrieben werden die Menschen durch ihre gemeinsame Motivation zur Veränderung.
  • Der Aufbau von Netzwerken: Menschen und Gruppen ähnlicher Zielsetzung vernetzen sich zur Information, Stärkung und zu gemeinsamen Aktivitäten.

Im letzten Punkt liegt die Stärke dieser Zeit. Dank Internet und sozialen Netzwerken können sich nun Menschen so schnell wie noch nie zuvor vernetzen und in Bewegung kommen.

Graswurzelbewegungen: Sie wachsen und gedeihen

„Vernetzung, Demokratisierung, Partizipation“ sind „der Wind unter den Flügeln von Graswurzelinitiativen“ [1].

Geduld ist wohl die größte Herausforderung bei Graswurzelbewegungen. Eine Graswurzelbewegung muss wachsen und wird sich in diesem Prozess auch immer wieder verändern. Das braucht Durchhaltevermögen, Visionskraft und Flexibilität.

Wesentliche Erfolgsfaktoren zum Gedeihen sind

  • Ein gemeinsames WIR – eine gemeinsame Identifikation entsteht.
  • Die Anliegen und Ziele, für die man sich einsetzen möchte, werden gemeinsam definiert.
  • Absprachen zu den ersten Aktivitäten im Sinne der gemeinsamen Anliegen und Ziele finden statt.
  • Sichtbarkeit zu möglichen „Followern“ wird hergestellt, damit die Graswurzelbewegung „Verstärkung“ erhält.

Das gemeinsame WIR gibt der Bewegung einen Zusammenhalt. Man steht für das Gleiche. Man folgt ähnlichen Werten und Prinzipien. Hier ist besonders die Frage des Vertrauens relevant. Vertrauen sich die Akteure untereinander oder schwingt das Thema Misstrauen mit. Das gemeinsame WIR leistet einen wesentlichen Beitrag, die Graswurzelbewegung in unsicheren Momenten zu stabilisieren. Daher sollte auf diese wichtige Grundlage für die Bewegung Wert gelegt werden.

Eine Graswurzelbewegung entfaltet wenig Wirkung, wenn man sich in unterschiedlichen und womöglich gegensätzlichen Zielen und Anliegen verheddert. Je fokussierter, desto gebündelter kann die Fähigkeit, das Wissen und die Kraft der Bewegung eingesetzt werden. Daher sollten die Ziele und Anliegen gemeinsam definiert werden.

Die stärkste Wirkung entfalten Graswurzelbewegungen in ihrem Umfeld (Organisation oder Gesellschaft) durch gezielte und abgestimmte Aktivitäten.

Wer sich nicht zeigt, kann auch nicht wachsen und zu einer maßgeblichen Veränderung führen. Daher ist es für eine Graswurzelbewegung wichtig, für „Follower“ erkennbar, erreichbar und vor allem transparent zu sein.

„Damit eine Protestbewegung Erfolg hat, muss nicht die ganze Bevölkerung auf die Straße gehen. 3,5 Prozent gilt als magische Zahl – dann muss die Regierung reagieren.“ [3]

Beim Wachsen entstehen u.a. folgende Herausforderungen

Die Herausforderungen richten sich sowohl ins Innere der Graswurzelbewegung als auch ins Außen.

Herausforderungen im Innen: Umgang, Kommunikation, Moderation
  • Wie schafft man es, gemeinsame Anliegen und Ziele zu vereinbaren?
  • Wie geht man mit unterschiedlichen oder auch konträren Zielen um?
  • Wie geht man in der Bewegung oder in Einzelgruppen mit unterschiedlichen Werten, Herangehensweisen und Erwartungen um?

Viele „Aktivisten“ kommen zum ersten Mal in einer Bewegung dieser Art zusammen, kennen weder Moderationsmethoden noch gruppendynamische Prozesse. Auch Konfliktbewältigung in einer Gruppe ist neu – besonders, wenn es darum geht, diese auf den sozialen Netzwerken zu meistern.

Herausforderungen im Außen: Spannungsfeld zwischen Nähe und Abgrenzung
  • Wie gelingt es, weitere Interessenten anzusprechen und zu aktivieren?
  • Wie vermeidet man die Aufmerksamkeit von Menschen und Institutionen, die der Graswurzelbewegung schaden könnten. Wir erinnern uns an das Element des „zivilen Ungehorsams“, aus dem dieses Risiko entsteht: Könnte das System das Problem mit eigenen legalen Mitteln lösen, bräuchte es keine Graswurzelbewegung. Da das nicht möglich ist, bedient sich die Bewegung mehr oder weniger bewusst einer sogenannten „brauchbaren Illegalität“, die Gegenreaktionen des Systems auslösen wird, innerhalb dessen die Graswurzelbewegung agiert.

Den meisten „Aktivisten“ fehlen Marketing- und Kommunikations- wie Presse- und Öffentlichkeitskompetenzen.

Diese Herausforderungen lassen sich unterstützen
  1. Vorteilhaft für Graswurzelbewegungen ist es, sich in Methoden der Moderation, Vernetzung und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Strategieentwicklung zu schulen.
  2. Ebenfalls macht es Sinn, etwas über systemische Analysen zu verstehen, um einschätzen zu können, welche Aktivitäten ggf. Gegenreaktionen provoziert werden.

Wenn Graswurzelbewegungen ans Licht gehen

Wenn sich eine Graswurzelbewegung schließlich zeigen möchte, spielen wohlgesonnene Sponsoren eine wichtige Rolle. Diese sind in der Lage, Gegenreaktionen des Systems zu mindern und können gleichzeitig Katalysator für ein weiteres Wachstum der Bewegung sein.

Doch gerade die Suche nach Sponsoren erfordert Fingerspitzengefühl, um die oben beschriebenen Gegenreaktionen nicht ungewollt zu stark zu provozieren.

Wie könnte an dieser Stelle Unterstützung aussehen?
  1. Systemisches Coaching: Einerseits wird die Bereitschaft mit Sponsoren ins Gespräch zu gehen, gestärkt und gleichzeitig findet eine Überprüfung der möglichen Reaktionen (speziell der nicht erwünschten) und Erwägung etwaiger Optionen, damit umzugehen, statt.
  2. Austausch: Erfahrungen aus anderen Graswurzelbewegungen können hier Gold wert sein. Vor allem können deren Vorbilder Mut machen und gleichzeitig den nötigen Respekt vor diesem Schritt fördern.

Demokratisierung, Partizipation und die Balance zur Struktur

Diese beiden Aspekte sind unserer Überzeugung nach überlebenswichtig für eine Graswurzelbewegung. Wächst eine Bewegung, werden ab einer bestimmten Größe strukturelle, formale Rahmen benötigt. Doch vergessen wir hier nicht, dass die Akteure einer Graswurzelbewegung freiwillig, intrinsisch motiviert gestartet sind und erste Wirkungen erzielt haben. Schafft man an dieser Stelle zu stark machthierarchisch geprägte oder bürokratische Strukturen, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit die Graswurzelbewegung zerstören. Es gilt, eine Balance zwischen Struktur und Freiraum zu schaffen.

Das kann auch passieren, wenn ein „Sponsor“ die Ziele der Graswurzelbewegung übernimmt und in ein formales Projekt gießt. Manchmal ist das auch eine gezielte Taktik der „feindlichen Übernahme“, um eine Bewegung zu zerstören.

Dem entgegenwirken kann man mit dem fundierten Einsatz von Methoden, die Selbstorganisation fordern und fördern. Diese sind weitläufig bekannt (z.B. aus der Welt der Agilität etc.) und lassen sich sehr gut durch entsprechende Coaches unterstützen.

Das Andockmanöver

Prinzipiell hat eine Graswurzelbewegung ihr Ziel dann erreicht, wenn das System die Veränderung integriert, d.h. sich entsprechend verändert. Andererseits ist ein Andockmanöver besonders anspruchsvoll und gefährlich. Gerade dabei kann die Graswurzelbewegung durch eine heftige Gegenreaktion des Systems zerstört werden.

Ironischerweise bedeutet das Andockmanöver auch im Erfolgsfall für Graswurzelbewegungen deren Ende und kann entsprechend schmerzhaft sein.

Speziell in dieser Phase hilft es allen Beteiligten – innerhalb der Graswurzelbewegung, genauso wie in deren Umfeld – in moderierte Gespräche zu gehen, um sich anzunähern. Hierbei ist es wichtig, die jeweiligen Bedürfnisse kennen zu lernen und Lösungen zu finden, die diese gemeinsam zu betrachten und zum Wohle aller Seiten zu erfüllen. Eine mühsame Arbeit, die Fingerspitzengefühl und auch ein strategisches Vorgehen benötigt.

Über Mut, Durchhaltevermögen und Zuversicht

Aktivität in einer Graswurzelbewegung beanspruchen eine ganze Menge Mut. Und das nicht nur einmal am Start, sondern über lange Zeit immer wieder. Es kommt zu Fehlschlägen und Gegenreaktionen des Systems. Das erfordert eine hohe Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen. Die Fähigkeit, flexibel zu sein, wird extrem strapaziert.

Die mentale Belastung bei den Akteuren einer Graswurzelbewegung halten wir für außerordentlich hoch. In diesem Kontext emotional und psychisch gesund und zuversichtlich zu bleiben, ist eine der großen Herausforderungen. Dies erfordert regelmäßige Stärkung untereinander, reale Betrachtung des Erreichten, Austausch mit anderen Graswurzelbewegungen und die Fähigkeit, sich intern immer wieder neu auszurichten und zu formen.

Stärkung und Unterstützung von Graswurzelbewegungen

Graswurzelbewegungen sind aus unserer Sicht essenziell für die Lösung unserer komplexer werdenden Herausforderungen. Wir sind der Meinung, dass es sogar eine Vielzahl von Graswurzelbewegungen bedarf, um die unterschiedlichen Aspekte der Gesellschaft zum Wohle aller zu verändern. Bis es soweit ist, stellt sich uns die Frage, wie wir das Wachstum von Graswurzelbewegungen so unterstützen können, dass wir es in der verfügbaren Zeit auch schaffen.

So können wir als Organisationsentwickler /Coaches /Trainer unterstützen
  1. Vermittlung von Wissen über Entstehung, Aufbau, Wirkung von Graswurzelbewegungen:
  • Je mehr Menschen wissen, dass es so etwas wie Graswurzelbewegungen gibt, umso mehr sind sie vielleicht bereit, eine zu initiieren oder auf die Suche nach einer zu gehen, der sie sich anschließen können.
  • Je mehr Wissen darüber besteht, wie Graswurzelbewegungen gedeihen und was sie brauchen, um Wirkung zu erzielen, kann man als Akteur in einer Bewegung darauf hinsteuern.
  • Wenn klar ist, dass Graswurzelbewegungen ein mitunter mühsames Unterfangen sind, jedoch mit realer Aussicht, kann Durchhaltevermögen und Mut wachsen.
  1. Vermittlung von Methodenwissen – zügig ins effektive Arbeiten kommen: Unterstützung der Akteure zu den Themen Teamaufbau und Stärkung, Kommunikation, Konfliktbewältigung, Moderation, Strategieentwicklung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Reden und Auftritte. So können die Teams über eine geführte Teamfindung schnell in die inhaltliche Arbeit ihrer Graswurzelbewegung kommen. Immer wieder aufkommende Konflikte können dann zügig ohne eine externe Person gelöst werden.
  2. Moderation von Gesprächen, Sitzungen, Workshops: Manchmal tut es gut, wenn jemand außerhalb der Graswurzelbewegung die Moderation übernimmt.
  3. Mediation / Konfliktschlichtung: Auch hier macht eine Person Sinn, die außerhalb des Geschehens steht.

Unser Appell

Graswurzelbewegungen sind ein wichtiges Element, um tiefgreifende Transformationen einzuleiten. Sie entspringen dem menschlichen Bedürfnis nach Verbesserung. Sie können erfolgreich sein. Sie brauchen Kraft, Vernetzung, Kompetenz und Durchhaltevermögen.

Eine Graswurzelbewegung braucht nicht nur einen inhaltlichen und emotionalen Antreiber, sondern auch eine strukturelle, methodische und gruppendynamische Unterstützung. Es gibt viele Berater, jeder notwendigen Profession, um dies für die Graswurzelbewegungen zu leisten.

Graswurzelbewegungen brauchen unsere Kompetenz als Organisationsentwickler / Coaches / Trainer. Bieten wir sie ihnen an. Im Austausch setzen sie sich für unsere gemeinsame Zukunft ein.

Von Herzen und in der Überzeugung, dass wir gemeinsam bewegen können – demokratisch und im Sinne aller.

Viel Freude & Inspiration
Ihre
Carole Maleh & Stefan Müller

Carole Maleh 2018 275x300 e1599670049921 DSC 5084 2 1

War das für Sie interessant? Sind Sie neugierig auf mehr?
Melden Sie sich gern bei mir!
Tel.: 0173/ 62 61 62 8
cama@carole-maleh.com
www.carole-maleh.com

Quellen

[1] „Graswurzelinitiativen in Unternehmen: Ohne Auftrag – mit Erfolg!“ – Sabine Kluge, Alexander Kluge – ISBN-13 : 978-3800663705 /
First Dancers: https://www.youtube.com/watch?v=fW8amMCVAJQ

[2] „Gesellschaft von unten!?: Studien zur Formierung zivilgesellschaftlicher Graswurzelinitiativen“ – Matthias Grundmann –  ISBN-13 : 978-3779939047

[3] „Gewaltfreier Widerstand Gesetz der 3,5 Prozent: Wie wenige Aktivisten Regierungen in die Knie zwingen können – Stern 14.12.2020