Der besondere Weg eines mutigen Unternehmensleiters

120 Personen analysieren, entwickeln, formulieren eine Strategie eines Großunternehmens mit 1500 Mitarbeitern. Eine Strategieentwicklung ganz entgegen dem traditionell ausgerichteten Mutterunternehmen. Ein absurdes Unterfangen in den Augen der Führung aus dem Mutterhaus. Hat es doch so etwas zuvor noch nie gegeben. Doch die Umstände sind besonders. Ein mutiger Unternehmensleiter und hoch engagierte Mitarbeiter machen es möglich. Schauen sie, wie ein solch, scheinbar illusorisches Unterfangen doch gelingen kann.

Erster Ansatz: Eine top-down Strategieentwicklung

China kommt mit Vollgas auf den Markt des Unternehmens zu. Mutter- und Tochtergesellschaften müssen sich neu orientieren. Es geht um Kosten und neue Produkte. Standorte werden überprüft und neu auf die globale Strategie ausgerichtet. Und für alle Standorte gilt, eine eigene Strategieentwicklung für ihren Teil in der Gesamt-Wertschöpfungskette ins Leben zu rufen. Die Konsequenz werden Umstrukturierungen großen Ausmaßes sein.

Die erste Idee für diese Strategieentwicklung ist ein Top-Down-Vorgehen. Einfach erklärt: Das Top-Management entwickelt die Strategie. Die Mitarbeiter setzen diese um. Vier Personen, Vertraute der Unternehmensführung und Führungskraft sind dafür involviert. Eine Change Management Beraterin wird angefragt, in diesem Zuge eine Führungskonferenz durchzuführen. Auf dieser sollen die bestehenden Führungsrichtlinien mit der gesamten Führungsmannschaft auf die neue Strategie hin angepasst werden.

Zu unsicher erscheint der Weg – Der Auftrag wird abgelehnt

Doch die Change Management Beraterin lehnt den Auftrag ab. Zu unsicher erscheint die Qualität der angestrebten Strategie. Eine Strategieentwicklung mit nur vier Personen, Vertrauten der Unternehmensführung und somit höchstwahrscheinlich alle in die gleiche Richtung denkend. Kann diese Strategie wirklich für alle 1500 Mitarbeiter gelten? Werden 1500 unterschiedliche denkende Köpfe diese Strategie mittragen? Und wenn darauf aufbauend auch noch die Führungsrichtlinien angepasst werden sollen, können diese wirklich erfolgreich sein?

Zu groß scheint das Risiko mangelnder Passfähigkeit und Umsetzungsqualität der Strategie. Dafür sollten unternehmensintern – wie auch externe Bedingungen, Entwicklungen und Voraussetzungen geprüft sein. Diese können mit vier Personen einfach nicht abgedeckt werden – so die Annahme der externen Change Management Beraterin.

Der neue Ansatz: Eine bottom-up Strategieentwicklung

Ein neues Vorgehen für die Strategieentwicklung wird entwickelt. Folgende Bedingungen sollen dafür erfüllt werden.

  1. Berücksichtigung aller relevanter Sichtweisen

Sichtweisen aus Produktion, Entwicklung, Vertrieb und übergreifender Funktionen liefern einen Querschnitt aller Anliegen, Themen und Anforderungen, die im Gesamtunternehmen bestehen. Die Sichtweisen aus konzernexternen Funktionen, wie Zulieferer und Kunden, bieten externe Entwicklungen, Anforderungen, Richtlinien, wie auch gesetzliche Vorgaben. Alles muss in der Strategieentwicklung berücksichtigt werden.

  1. Einbindung aller Mitarbeiter des Unternehmens

Alle Mitarbeiter sollen in die Strategieentwicklung eingebunden werden. Es galt, die höchstmögliche Akzeptanz für die Strategie zu erreichen und damit die höchste Chance für die erfolgreiche Umsetzung.

  1. Verständlichkeit der Strategie für jedermann

Die Strategie war für alle da. Sie musste also für die unterschiedlichen Nationalitäten und Bildungslevel gleichermaßen verständlich und attraktiv sein.

  1. Sechs Monate Zeitlimit

Es musste ein Vorgehen zur Strategieentwicklung her, dass sich im Rahmen der sechs Monate realisieren lässt. Der Markt und der Mutterkonzern drängten mit Eile.

Das Konzept: Die bottom-up Strategieentwicklung in fünf Schritten

Schritt 1: Sammeln relevanter Informationen: Workshop mit 20 Schlüsselpersonen

20 sorgfältig ausgesuchte Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Hierarchien, Funktionen, Bereichen, mit unterschiedlicher Unternehmenszugehörigkeit, Geschlecht und Alters kommen für die Strategieentwicklung zusammen. Gemeinsam geht es darum, ein Gesamtbild auf das Unternehmen und seinen Markt zu erhalten. Eine Reihe von Fragen wird gestellt – aufgeteilt in drei Blöcke.

Fragen zum Status des Unternehmens
  1. Was ist das Kerngeschäft des Unternehmens?
  2. Wie zeigt sich das in der Wertschöpfungskette im Gesamtkonzern?
  3. Welche Aufgabe und Rolle hat das Unternehmen in diesem System?
  4. Wie ist das Unternehmen gerade aufstellt, intern und extern?
  5. Wie denken wir über uns? Wie denken andere über uns?
  6. Wo sind unsere Stärken? Wo liegen unsere Schwächen?
  7. Was haben wir in den letzten Jahren erreichen wollen?
    Was ist uns gelungen? Was ist noch offen?
  8. Was ist uns wichtig in Bezug auf Personal, Kosten, Ausbildungen, Kompetenzen, Alter, Entwicklungschancen etc.?
  9. Was läuft gut, was nicht so gut?
    Wo sehen wir unsere Themen, Herausforderungen und Probleme?
  10. Was soll bleiben, wie es ist?
Fragen zur Historie des Unternehmens
  1. Was ist in den letzten Jahrzehnten in dem Unternehmen, wie aber auch im Umfeld passiert?
  2. Wie hat sich das auf das Unternehmen ausgewirkt?
  3. Was ist davon noch immer zu spüren? Wo liegen Verletzungen?
  4. Welche Erfahrungen dürfen nicht wiederholt werden?
Fragen zum Markt
  1. Was hat der Markt in den letzten Jahren benötigt? Was braucht der Markt jetzt?
  2. Welche Entwicklungen kommen auf den Markt zu, z.B. zu Technologie, Umweltauflagen, Gesetzgeber und internationalen Prüfungsgesellschaften, Kunden und Konkurrenten etc.?
  3. Wie wird sich das auf uns auswirken? Was brauchen wir, um damit klarzukommen? Was davon haben wir bereits, was davon muss noch entwickelt werden?

Eine Fülle an Informationen wird zusammengetragen, verdichtet und priorisiert. Handlungsfelder werden lokalisiert und daraus Strategiefelder definiert. Die Basis für eine neue Strategie ist somit geschaffen.

Schritt 2: Strategieentwurf durch das Kernteam

Ein Kernteam bestehend aus einem Teil der Schlüsselpersonen des ersten Workshops formuliert nun den ersten Strategieentwurf. Geprüft und mehrfach weiterentwickelt geht dieser Entwurf dann an 40 Schlüsselpersonen für den nächsten Entwicklungsschritt.

Schritt 3: Prüfung und Weiterentwicklung: Workshop mit 40 Schlüsselpersonen

Die Schlüsselpersonen aus dem ersten Workshop, ergänzt um weitere 20 Personen, prüfen nun den Strategieentwurf auf Nachvollziehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Machbarkeit. Darüber hinaus wird auch die Verständlichkeit der Strategie betrachtet. Die Strategie wird ergänzt und korrigiert. Am Ende steht eine vor-finale Version für den letzten Schritt.

Schritt 4: Das Vor-Finale: Die erste Change Konferenz mit 120 Personen

120 Personen – ein Querschnitt des gesamten Unternehmens übernehmen nun den vorletzten Schritt der Strategieentwicklung. Dann geht die finale Strategie für eine allerletzte Begutachtung an die 1500 Mitarbeiter des gesamten Unternehmens. Es wird nochmals geprüft, ergänzt und korrigiert.

Schritt 5: Das Finale: 1500 Mitarbeiter und 15 große Change Konferenzen

Der krönende Abschluss der Strategieentwicklung ist das Feedback aller 1500 Mitarbeiter. Jeder einzelne Mitarbeiter hat die Chance, Feedback zu geben und seinen eigenen Beitrag zur Umsetzung der Strategie zu benennen.

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Ein großes Ereignis mit bahnbrechenden Ergebnissen für das Unternehmen! 1500 Mitarbeiter in die Strategieentwicklung einzubinden, hat im Gesamtunternehmen für Aufregung, Respekt, Hoffnung und Lust zur Umsetzung geführt. Und darüber hinaus führte dieser mutige Schritt der Unternehmensleitung zu einer qualitativ hochwertigen Strategie, in der alle unternehmensrelevanten Aspekte bedacht wurden und der eine machbare Umsetzung bevorstand.

 

Die Voraussetzungen für diese Art der Strategieentwicklung

Was hat diese Art der Strategieentwicklung überhaupt erst ermöglicht?

  1. Die Offenheit der Unternehmensleitung für die Anliegen und Sichtweisen der Mitarbeiter.
  2. Die Klarheit der Unternehmensleitung, dass die Strategie nur eine Change zum Erfolg hat, wenn sie von allen Mitarbeitern akzeptiert wird. Dafür müssen diese aber auch an der Strategieentwicklung teilnehmen.
  3. Es brauchte Mitarbeiter, die sich für den Prozess über ihre alltägliche Leistung hinaus einsetzen wollten (Kernteam und Schlüsselpersonen).
  4. Ein Top-und Mittelmanagement, das diese Art der Strategieentwicklung mitgetragen hat.
  5. Ein Prozess, der zu jeder Zeit zielgruppen- und zielorientiert, gut organisiert, transparent und zeitlich begrenzt war.